Warum ich fotografiere

Handyfoto von Esther Posala

Vielleicht liegt es an mir.

Vielleicht bin ich wirklich einfach nicht genug.

 

Dieser Gedanke "nicht genug zu sein" hat mich lange begleitet. Bewusst & unbewusst.

Ich bin in einer Gaststätte aufgewachsen. In einer Familie, in der Alkohol eine große Rolle gespielt hat.

Als Kind hatte ich oft das Gefühl, es sei sicherer, mich unsichtbar zu machen. Mich möglichst anzupassen, um ja nicht aufzufallen. Bloß nicht sagen, was ich wirklich denke. Ich habe früh gelernt, dass es sich für mich sicherer anfühlt, mich und meine Seele der Welt nicht zuzumuten.

Als Teenager habe ich sehr deutlich erfahren, dass "gesehen zu werden" ganz real nicht sicher ist. #metoo

Ja, und dann bin ich auch noch jemand mit verschiedenen Familienanteilen in unterschiedlichen Ländern und Kulturen. Ich liebe das heute! Und trotzdem hatte ich immer irgendwie das Gefühl, nirgendwo richtig dazuzugehören.

Ich dachte immer, ich müsse mich einfach nur noch besser anpassen, "vernünftiger sein".

Ich habe mich unsichtbar gemacht. Nicht bewusst, aber ganz deutlich. Mich so lange so angepasst, bis ich fast zerbrochen wäre.

Gleichzeitig habe ich mich furchtbar dafür geschämt, wie ich aussehe.

Es gab Jahre, in denen es mir das Herz gebrochen hat, mich selbst im Spiegel zu sehen oder Fotos von mir zu betrachten. Ich habe das so oft es ging vermieden.

Mein echtes ICH habe ich so gut es ging versteckt. Gedeckelt.

Gleichzeitig habe ich Liebe im Außen gesucht, wollte „gesehen werden für die, die ich bin“.

Gefunden habe ich genau das mit der Kunst. Mit der Fotografie!

Vielleicht kennst du dieses Gefühl? Das, wenn wir denken, wir müssen einfach nur besser funktionieren. Oder auf jeden Fall, irgendwie anders sein, um dazu zu gehören. Uns "einfach mal weniger anstellen". Nicht so empfindlich sein. Egal wie, aber auf jeden Fall anders sein.

Aber weißt du was: du darfst genauso sein, wie du bist. Denn genauso wie du bist, bist du wunderschön. Einzigartig. Und genug. Du bist genug!

Niemand ist so wie du. Und genau diese Einzigartigkeit ist das, was uns alle miteinander verbindet.

Mit der Fotografie kann man Erinnerungen festhalten und Geschichten erzählen. Aber es geht noch tiefer.

“A portrait allows you to see yourself and be seen by others. It takes vulnerability and strength to do both those things. When they happen, connection happens. And that’s the best thing about photography.”

– Nadia Meli

Genau diese Aussage trifft es so gut.

Denn: erst durch die Auseinandersetzung mit der Fotografie habe ich gelernt, mich selbst zu lieben.

Ich habe angefangen, mich selbst öfter anzusehen. Meinen eigenen Körper zu betrachten. Dankbar zu sein für das, was dieses Wunder jeden Tag für mich leistet.

Ich wurde vertrauter mit meinen unterschiedlichen Perspektiven. Mit meinen unterschiedlichen Facetten.

Ich habe angefangen, mich damit zu verbinden, was mich wirklich ausmacht und das ist so viel mehr als meine grauen Haare oder die Kurven, die ich habe.

Und ganz nach und nach habe ich das Leben wieder ganz an mich rangelassen. Und mit der Kunst mein eigenes Selbstvertrauen wieder aufgebaut.

Ich habe gelernt, dass ich mich, mit all dem, was mich ausmacht, zeigen darf. Ja, auch dann, wenn ich immer mal wieder damit hadere.

Ich habe mal irgendwo gelesen, dass wir erst existieren, bis uns jemand sieht. Das ist es, was wir alle wollen, oder? Gesehen zu werden. Dazuzugehören. Wahrgenommen werden für die, die wir sind.

Wenn ich also sage, warum ich fotografiere, dann sind es vielleicht sehr egoistische Gründe:

Ich fotografiere, um selbst gesehen zu werden. Für die, die ich bin.

Und weil ich es so sehr liebe, meine Sicht auf die Frauen dieser Welt zu teilen. Um dich zu sehen, so wie du bist.

Ich liebe es so sehr, wenn Frauen mir erlauben, sie mit einem liebevollen Blick durch meine Augen zu betrachten. Wenn sie mir ihre Geschichten erzählen und ich sie dabei mit der Kamera sehen darf. Damit entsteht eine Verbindung, die absolut wunderbar wohltuend ist. Für dich und für mich.

Wir sind dazu geschaffen uns zu verbinden. Die Individualität in jedem einzelnen zu feiern.

Bilder sind so viel mehr – sie sind ein Gefühl. Dein Gefühl für dich selbst.

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